Eugen Höfling
Fuldaer Geschichtsblätter 1984
von Dr. Richard Pawelitzki
Am Geburtshaus des Dichters des Liedes
"O alte Burschenherrlichkeit", Dr. Eugen Höfling, in Fulda wurde im Herbst 1983 eine Erinnerungstafel angebracht, die schon deshalb ihr gutes Recht hat, weil das vielgesungene Lied wahrscheinlich an diesem Ort entstanden ist. Höfling hat es nicht als Burschenschafter in Marburg, sondern als "Lyzeist" des heimatlichen Gymnasiums verfaßt, das sich zu seiner Schulzei
t noch sehr nachdrücklich als Nachfolgerin der einstigen Fuldaer Universität verstand. Ebenso wie auf den Gedenktafeln in Marburg und Eschwege wird auch auf der Fuldaer Bronzeplatte nur Höflings Dichtung genannt. Das ist gewiß nicht die Schuld derer, die heute das Haus am Buttermarkt pflegen und die Erinnerungstafel gestiftet haben, sondern hat seinen Grund darin, daß sich die Forschung bisher einseitig mit Höflin
g als Liederdichter beschäftigt hat. Doch sollte uns, die wir keinen Überfluß an "Vätern" der Demokratie haben, mindestens ebenso wichtig sein, daß das "rechte Burschenherz" bei Höfling nicht erkaltete, sondern bis in das Alter von demokratischem Sinn erfüllt blieb, der allerdings in dem sich wandelnden Geist der Zeit auch seine eigene Verwandlung erfuhr.
Man mag je nach eigenem Standort solche Veränderung natürlich, zwangsläufig, betrüblich oder gar tragisch nennen. In jedem Falle ist Höflings Weg Abbild vieler, vom Ansatz her ähnlicher Lebenskurven im 19. Jahrhundert und darum - gut belegt durch seine eigenen Aufzeichnungen
- auch von allgemeinerem Interesse.
Eugen Höfling entstammte dem jungen Großbürgertum einer Stadt, die sich im Gegensatz zu ihrem weiteren Umfelde dank fortschrittlicher
Fürstäbte während des 18. Jahrhunderts in großer Liberalität entfaltet hatte. Als er am 5. Oktober 1808 als Sohn des ehedem fürstbischöflichen Bankiers und Kommerzienrates Franz Wilhelm Höfling geboren wurde, gehörte seine Vaterstadt Fulda zwar zum französischen Kaiserreiche, doch werden ihre Bürger die napoleonische Verwaltung weniger schmerzlich empfunden haben als die folgenden staatsrec
htlichen Strukturen.
Das hatte auch für das in weltweiten Verbindungen stehende Handelshaus Höfling Geltung, das bis zum Wiener Kongreß seinen Wohlstand
mehren konnte. Erst die 1815/16 einsetzende Restauration engte auch die wirtschaftlichen Möglichkeiten in arger Weise ein. Es ist wichtig, diese ökonomische Entwicklung anzusprechen, weil sie auch die Studenten anging, die zumeist aus wohlhabenden Bürgerhäusern kamen. Die
geschwächte finanzielle Situation und die daraus sich entwickelnde Unzufriedenheit der Väter vermählte sich mit dem Sturm und Drang
der Söhne, die andererseits wieder im verhältnismäßig schnellen Wandel studentischer Generationen nicht einfach wesensgleiche
Nachfolger derer waren, die zehn Jahre zuvor aus den Freiheitskriegen heimgekehrt waren. Man muß das sehen, um die Mehrpoligkeit der burschenschaftlichen
Bewegung einigermaßen zu erfassen, in der sich Höfling und seine Fuldaer Freunde vorfinden, als sie 1826 ihr Medizinstudium in Marburg beginnen.
Das studentische Album Höflings aus den Jahren 1826-1831 belegt das in lebendiger Weise. Wir lesen kräftige Worte von Vaterland, Ehre und Freiheit, aber auch schlichte Verse der Freundschaft, die von Erlebnissen berichten, wie sie die Jugend kennt, oder ein sorgenfreies Studentenleben preisen. Doch ausgesprochen oder nicht, hinter jedem Satz steht die Sehnsucht nach einem großen "teutschen Vaterlande, gesetzlich frei, volkskr&aum
l;ftig unzersplittert", eine Sehnsucht, die jederzeit Nährboden neuer Bewegung werden kann.
Höfling selbst ist zunächst wohl einfach ein fröhlicher Studiuosus gewesen. Doch sein 1828 erfolgter Wechsel von Marburg nach Würzburg,
wo er einer zu jener Zeit illegalen Burschenschaft Germania angehört, zeigt auch bei ihm die ganze Bandbreite burschenschaftlichen Lebens jener Tage. So ist auch der Album-Eintrag seines "deutschen Bruders" J. Sartori aus Würzburg nicht von ungefähr, auch wenn wir die völlige Identifikation Höflings mit solchen Worten in Beobachtung seines weiteren Lebensweges verneinen werden:
"Und jeder wählt und keinen siehst du beben
den freien Tod für ein bezwungenes Leben."
Fraglich ist, ob Höfling "Waffenstudent" in dem uns geläufigen Sinne gewesen ist. Ein in der Familie aufbewahrtes blutdurchtränktes
Burschenband läßt es vermuten. Eindeutig aber war sicherlich seine ablehnende Haltung zum Duell. Als er 1833 in Fulda von einem Offizier eine Forderung erhält, läßt er antworten: "Wenn der Herr glaubt, daß eine Grobheit von seiner Seite meiner Ehre einen Schaden zufüge, den ich nur durch ein Duell ausbessern könnte, so kann ich den großen Irrtum desselben nur beklagen... die Zeiten geistloser Reno
misterei sind längst vorüber... zwar ehrt man allgemein gern die Tapferkeit, betrachtet aber mit Abscheu die lächerliche Roheit vergangener Jahrhunderte."
Wir haben langer und schmerzlicher Umwege bedurft, um zu dem Standort eines Burschenschafters zurückzufinden, der noch nicht von den Versuchen der bürgerlichen Gesellschaft angekränkelt war, es in allem dem Adel und dem Offiziersstande gleich zu tun.
Ähnlich ist auch Höflings Verhältnis zum Militär. Nur Bürgerwehren als Ausdruck der Souveränität des Volkes
werden von ihm anerkannt. Als er als junger Arzt einmal Manöversoldaten zu versorgen hat, schilt er in seinem Tagebuch über das "lächerliche
Spielwerk, für das so mancher für nichts und wieder nichts" seine Gesundheit opfern müsse.
Schon 1830 ist Höflings eigene "Burschenherrlichkeit" zu Ende. Der Vater ist gestorben. Das Erbe ist mit dem Handelshause im wesentlichen an den älteren Bruder gefallen. Sein Anteil reicht gerade noch zu einem geregelten Abschluß seiner Studien und zu der damals üblichen "Bildungsreise". Ehe er sie antritt, promoviert er bei dem später sehr bedeutenden Karl Friedrich Heusinger in Marburg mit einer sehr ausführliche
n Dissertation "De Ichthyosi" (Fischschuppenkrankheit der Haut) und legt den ersten Teil seines Staatsexamens ab. Zusammen mit den jungen Ärzten Dr. Stadler aus Fulda und Dr. Justi aus Marburg sehen wir ihn danach auf der Fahrt über Prag nach Wien, wo er nicht nur die damals sehr bedeutenden, zum Teil schon unter Joseph II. geschaffenen sanitären Einrichtungen sehen kann, sondern auch eine Anschauung von der gerade abklinge
nden Cholera-Epidemie erhält, von der er ebenso wie seine Kollegen der Medizinalkommission in Kassel Bericht zu geben hat.
In den letzten Tagen seines Wiener Aufenthaltes beginnen seine Tagebuchaufzeichnungen, die uns nun über viele Jahre ein sehr intimes Bild seiner Entwicklung
geben, aber um ihrer Subjektivität willen auch mit aller Vorsicht gewogen werden müssen.
Gleich in den ersten Zeilen finden wir Höflings scharfes Urteil über die Wiener Universität: "Ein Zuchthaus, in dem der Staat mit Zwangsstudium, Zwangsprofessoren und Zwangsprüfungen seine Beamten, Priester und Ärzte ausbildet." Nur am letzten Abend in Wien erfreut er sich im Kreise einiger Vorarlberger und Wiener Studenten des "teutschen Sinnes, der auch in Österreich nicht ganz erloschen ist". Aber er ist froh, am
11. Juli 1832 dieses Österreich zu verlassen. "Ich atmete freier auf, als ich statt der schwarz-gelben Totenladen-Farben das freundliche Weiß-Blau des konstitutionellen Bayerns erblickte."
Ob Höfling vor seiner Bildungsreise am Hambacher Fest (27.5.1832) teilgenommen hat, wird von der Familientradition bejaht. Die Wiener Reise steht nicht dagegen, weil sie schon aus Kostengründen sehr kurz gewesen sein dürfte. Für die Teilnahme in Hambach spricht, daß Höfling auf der Heimreise von Wien in Stuttgart, Heilbronn und Heidelberg jeweils sofort Fühlung mit "Hambachern" nimmt, die gerade dabei sind, ih
re ohnmächtigen Proteste gegen die dem Hambacher Fest folgenden Bundesbeschlüsse vorzubereiten. So besucht Höfling am 18. Juli 1832 in Stuttgart Lohbauer, der ihm den Entwurf eines Aufrufes an das Militär vorliest, und in Heidelberg erfährt er von seinen dortigen Freunden Bode und Bairhofer das ganze Ausmaß der behördlichen Anordnungen. Er notiert dazu in seinem Tagebuch: "Wenn jetzt das Maß der Sün
den noch nicht voll ist, wenn solche Gewaltstreiche das deutsche Volk in feiger Hingebung erduldet, dann ist es nichts anderes werth! ...soll das herrliche Land nur von Sklaven bewohnt werden? Nimmermehr!" Aber er selbst eilt nach Fulda zurück, ohne sich an den anlaufenden Planungen zu beteiligen, die im Frankfurter Wachensturm (3.4.1833) ihre Bündelung finden werden.
Der späteren Familienlegende, daß er in Heidelberg eine ihm von dem dortigen Professor Nägele angebotene wissenschaftliche Laufbahn aus politischen Gründen (d.h. wegen seiner vorangegangenen Beteiligung am Hambacher Fest) ausschlagen mußte, stehen eigene Notizen entgegen, in denen er als Motiv seiner Absage an den Heidelberger Gynäkologen nur seine Sorge um den Unterhalt von Mutter und Geschwistern nennt.
Zurückgekehrt nach Fulda, beginnt er nach Abschluß der staatlichen Prüfungen (12. März 1833) seinen Vorbereitungsdienst im dortigen
Landeskrankenhaus und bei dem Physikatsleiter der Stadt. Wiederholte Bemühungen um Verkürzung der vorgeschriebnen einjährigen Ausbildungszeit scheitern, und er murrt über "Gängelung und Verletzung der Menschenrechte durch die drückenden Fesseln der Staatsmaschinerie". Doch spricht in den Personalakten nichts dafür, daß bei der ablehnenden Haltung der Medizinalkommission in Kassel etwa seine politische Hal
tung irgendeine Rolle gespielt hat. Umgekehrt wissen jene Akten auch nichts von einem Vorfall, der ihn selbst bei seiner späteren beruflichen Planung immer wieder
mit der Sorge erfüllt hat, daß ihm etwas nachgetragen würde. Auf dem sogenannten "breiten Stein" der Fuldaer Schmittgasse kam es zu einer Rempelei mit einem illegitimen Kurfürstensohn, der schließlich von seinem Degen Gebrauch machte. Noch acht Jahre später hielt es der dem Hause Höfling freundschaftlich verbundene Bischof Pfaff für gut, sich bei einem Besuch des damaligen kurhessischen Innenministers, S
taatsrat Dr. Koch, versichern zu lassen, daß der Kurfürst "nichts mehr nachtrage".
Auch durch seine Zugehörigkeit zu dem sicher von der Obrigkeit nicht gern gesehenen "Patriotischen Verein" in Fulda, für den er sogar die Satzung entwirft, handelt sich Höfling keine erkennbaren Schwierigkeiten ein. So erhält er nach Ablauf der Vorbereitungszeit im Mai 1834 die Genehmigung zur Eröffnung einer eigenen ärztlichen und geburtshilflichen Praxis in Hünfeld.
Schon bald nach seiner Ankunft in der damals recht unbedeutenden Kleinstadt im Haunetal regen sich auch hier seine politischen Interessen. Eben noch in Fulda verabschiedet als "Präsident" des dortigen Bürgervereins, leitet er bereits im Herbst 1834 den Hünfelder Casino-Verein, bemüht, "die Harmonie der Bürger zu fördern" und "den Herren bessere Sitten anzuerziehen". Auch die "gesellschaftliche Trennung, die insbeson
dere bei den Damen besteht", soll nach seinen Plänen verschwinden.
Doch bald - enttäuscht von den "trockenen Philistern und Kannegießern" - wendet er sich dem kommunalen Ehrendienst zu, und wird mit 11 von 15
Stimmen in den Stadtrat gewählt. Die regierungsseitige Bestätigung der Wahl erreicht ihn wie ein gutes Beruhigungsmittel inmitten neuer Ängste,
die er sich vorübergehend um seiner burschenschaftlicher Vergangenheit willen zu machen hat. Am 24. März 1835 vermerkt er zwei "langandauernde
Verhöre am hiesigen Amt auf Inquisition des Marburger Landgerichtes" und setzt in seinem Tagebuch hinzu:
"Lächerlich, solche längst begrabenen Geschichten wieder aufzuwärmen und vielleicht akademische Disziplinargesetze noch auf Leute auszudehnen, die längst im praktischen Leben ihre Stellung erkannt und jugendliche Schwärmereien praktisch verarbeitet haben."
"Aber ein Richter, der strafen will, braucht bei der bestehenden Gesetzgebung nicht verlegen sein. Er kann strafen."
"Es wäre zu ärgerlich, für so alte Geschichten noch leiden zu müssen."
So ungut die Sache zunächst für ihn aussieht, regt sie doch auch
seine Muse an:
"Siehst du der Sonne goldenes Gefunkel
im Westen dort bei ihrem Niedergang,
wie sie rötet rings das Dunkel,
der schwarzen Wolken Überhang?
Ja, so gewiß sie morgen wiederkehrt in ihrer Klarheit,
so unausbleiblich sicher kommt dereinst der Tag der Wahrheit."
Doch am Ende des Jahres kann er erleichtert vermerken:
"Während viele meiner Universitätsfreunde unstet
in der Fremde umherirren, nehme ich an der unmittelbaren Regierung einer
Stadt teil! ...der schwarz-rot-goldene Faden, der
sich... in mein Leben einzuspannen drohte, wird hoffentlich zu besserer
Zeit wieder einmal erscheinen!"
Obwohl die kommunale Selbstverwaltung in Kurhessen (ganz im Gegensatz zu
anderen öffentlichen Bereichen dieses seit 1803 etwas anachronistischen
"Kurfürstentums") durch die Gemeindeordnung vom 23. Oktober 1834 eine
gesunde Grundlage erhalten hat, erlebt Höfling persönlich neben
"erfolgreichen Bemühungen zum Frommen der jetzigen Mitbürger"
auch hier seine Enttäuschungen. Er scheitert als Kandidat der Wahlen
zum Bürgermeisteramt und als Deputierter zur kurhessischen Städteversammlung,
zitiert ein wenig bitter den englischen Staatsmann Walpole, der gesagt
haben soll, daß "dort, wo es auf Wahlen ankommt, die Gerechtigkeit
nur ein leeres Wort ist", und setzt mit etwas angebrochenem Demokratiebewußtsein
hinzu, daß zwar der Satz
"vox populi, vox dei" wohl noch immer
Geltung habe, aber die Ehrgeizigen, Geldgierigen usw. doch oft das Rennen
machen würden.
Immerhin bucht er gleichzeitig als Gewinn seiner Staatsratstätigkeit
die Erfahrung des Unterschieds einstiger jugendlicher Ansichten von der
Wirklichkeit.
Einen gewissen Höhepunkt in seiner kommunalpolitischen Arbeit bildet
schließlich seine Mitarbeit in der 1838 gegründeten kurhessischen
Eisenbahnkommission. Er hat deutlich einen Spürsinn dafür, daß
sich mit der durch die "reißende Gewalt der Dämpfe" eingeleitete
Entwicklung auch neue Perspektiven für seine politischen Hoffnungen
ergeben. "Alle geistige Regung ist scheinbar erstickt, aber der einmal
erregte Gemeinsinn und das kräftige Gemüth des Volkes werfen
sich auf die materielle Seite. Eisenbahn und Dampfbewegung sind Losungsworte
statt Freiheit und Gleichheit, aber die materielle Bewegung wird die geistige
vorbereiten, und diese wird dann unwiderstehlich seyn."
Seine Begeisterung für die Eisenbahn und ihre Trassierung über
Hünfeld brandet "gegen den starren Felsblock des Bürgermeisters,
dem das Heil der Dampfeisenbahn gar zu mechanisch dünkt, als daß
einer moralischen Person dadurch geholfen werden könne". Er selbst
aber prophezeit, "daß mit der Maschinenkraft eine neue Aera anhebt,
die den Irrthum beseitigen wird, daß der Mensch nur zur körperlichen
Arbeit geboren werde". So setzt er schließlich unter Umgehung des
Bürgermeisters auch seine Entsendung zur Generalversammlung in Kassel
am 31. Januar 1838 durch und spricht dort "nicht ohne Herzklopfen" als
Städtevertreter, während "mehrere 100 schlaue und höchst
gescheite Augen und Ohren" auf ihn gerichtet sind.
Zurück in Hünfeld erfährt er die ablehnende Haltung des
Bürgermeisters und des Bürgerausschusses in scharfen Worten:
"Bei einer solchen Modesache gleich mitzumachen, verrät keinen Haushalter,
besonders jetzt, wo bereits vom Mißglücken der Eisenbahnunternehmungen
die Rede ist." Dabei sei fast gewiß, daß "die projektierte
Eisenbahn nie über Hünfeld gehen wird".
Höfling hat nicht nur die Genugtuung erfahren, daß etwa zweieinhalb
Jahrzehnte später Hünfeld an das Eisenbahnnetz angeschlossen
wurde, sondern hat auch miterlebt, wie sich die von ihm vorausgesehene
Lawine der technischen und industriellen Entwicklung in Bewegung setzte
und entscheidend dazu beitrug, unser gesamtes soziales, kulturelles und
politisches Leben zu verändern.
Doch anno 1838 bereitet solche Vorahnung noch nicht viel Trost. So mehren
sich in seinem Tagebuch wieder die ärgerlichen und bitteren Worte
der politischen Kritik. Er schmiedet "Pläne eines herumziehenden Schwärmers",
der einen "Handel betreibt mit Gläsern für kurzsichtige Fürsten,
gefärbte Brillen für Geschichtsschreiber... mit Pulver für
den stinkenden Atem der Hofleute... mit Mitteln gegen die Gefräßigkeit
der Staatsdiener" oder mit "kühlenden Mixturen für hitzige Volksfreunde".
Er greift das "alte, verfaulte Europa an, wo es privilegierte Müßiggänger
gibt, die von dem bitteren Schweiß der Elenden leben", oder er dichtet:
"Es leben alle Potentaten...
und hungrigen Staatsdienstkandidaten...
es leben die niedrigen Kriecher,
es leben die Herren mit Tressen,
es leben die Frauen Mätressen,
es leben die Zensur und die Tortur."
Den in Hannover geübten Despotismus quittiert er mit den Worten, "daß
unser elender, politischer Zustand so recht offenbar" werde. Und "ein Volk,
das sich die beste Constitution entziehen läßt", wohl nichts
Besseres verdiene. Und in demselben Zusammenhang nennt er einen Despoten
"ein Ungeziefer, einen Bandwurm, eine Laus, eine Mücke, eine Wespe".
Aber Gesprächspartner solcher Ausbrüche des politischen Zorns
ist in der Regel nur sein Tagebuch. Die Verbindungen zu alten Freunden
sind seltener geworden. Das gilt insbesondere für die Burschenschaft,
die noch nicht als Lebensbund empfunden wurde. Dann und wann taucht ein
gleichgesinnter alter Weggefährte auf, ohne daß sich daraus
erkennbare Konsequenzen für den eigenen Lebensweg ergeben. Zu ihnen
gehört auch Blum, der ihn im Sommer 1839 auf einer Reise in die Schweiz
besucht. Die Gesprächsthemen (Richard Wagner, Herder, Nihilismus,
katholischer Mystizismus) lassen vermuten, daß es sich um Robert
Blum gehandelt haben könnte.
Eine gute Ausnahme in Höflings persönlicher Einsamkeit während
der Hünfelder Jahre ist nur sein Fuldaer Jugendfreund, der Pfarrer
Pfister von Mackenzell. Hier kann er seinem Herzen frei Luft machen und
mit Pfister darin wetteifern, die treffendsten Vokabeln für die Willkür
seines Kurfürsten (z.B. die gesetzlose Einvernahme der Rotenburger
Quart in das Privatvermögen des Kurhauses) zu erfinden.
Aber das alles darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß
es auch Höfling ergeht wie allen revolutionären Geistern. Man
wird älter, man gibt zwar die großen Hoffnungen nicht auf, spürt
zwar, daß man "gesünderes Blut in den Adern" hat, lernt aber
warten. Ja, Höfling empfindet gar 1839 ein "behagliches Gefühl,
als er beim Lesen der Steckbriefe seiner Universtitätsbekannten im
warmen Stübchen sitzen" könne. Die Ära des Biedermeier beginnt
auch für ihn.
Vielleicht ist ihr auch die sich im Laufe der Jahre bei Höfling
wieder steigernde wissenschaftliche Arbeit anzurechnen. Immer wieder erscheinen
nun Aufsätze von ihm in Henkes Zeitschrift für Staatsarzneikunde
oder in Caspers Wochenschrift für die gesamte Heilkunde. Er wird Mitglied
der Gesellschaft der Naturforscher zu Kassel und korrespondiert mit seinem
alten Lehrer wegen seiner Habilitationspläne, die er aber aus finanziellen
Gründen auch wieder verwirft.
Die Streuung seiner medizinischen Themen ist weit. Sie reichen von psychiatrischen
Problemen über Fragen seiner täglichen Praxis bis hin zu medizin-statistischen
Arbeiten. Daneben veröffentlicht er aber auch Arbeiten aus dem Bereich
seiner ganz persönlichen Liebhaberei, der Käferkunde, und da
und dort ein kleines Gedicht. Endlich sammelt er auf seinen vielen Dienstwegen
durch das "Buchenland" Sagen und Märchen, die er aber leider nicht
veröffentlicht hat.
Ende 1839 sehen wir ihn als Kommissionsmitglied bei der Gründung
der Städtischen Sparkasse in Hünfeld und erfahren so, daß
er seine Stadtratstätigkeit ungeachtet aller persönlichen Enttäuschungen
durchgehalten hat.
Im übrigen richten sich alle seine Gedanken gegen Ende der dreißiger
Jahre mehr und mehr auf die berufliche Zukunft aus. Schon bald nach dem
Bestehen des Physikatsexamens (1836) beginnt er, sich um jede freiwerdende
Stelle in Kurhessen zu bewerben. Dabei mag man ihm heute noch nachempfinden,
wie schwer es gerade ihm wohl gewesen sein muß, immer wieder zu schreiben
"Durchlauchtigster Kurprinz, Mitregent und Herr" und "untertänigst
Euere königliche Hoheit zu bitten, Höchstderselbe möge gnädigst
geruhen", um schließlich zu "verharren in tiefster Ehrfurcht als
untertänigster Diener".
Einmal spöttelte er selbst über die Demütigung, die er
bei alledem empfindet. Nun sei er schon soweit herumgekommen, daß
er die Hofnachrichten lese, um festzustellen, ob der Kurprinz schon in
Kassel über sein Gesuch entscheiden könne oder noch als Badegast
in Norderney oder Bad Nenndorf sei.
Wirtschaftlich drängt ihn nichts zu einem beeilten Wechsel in den
Staatsdienst. Seine Klientel hat sich von Jahr zu Jahr vergrößert.
Das karge Leben des Anfangs ist gewichen. Das äußert sich auch
in vermehrten Tagebucheintragungen über fröhliche Feiern im Freundeskreis,
den er allmählich als Arzt gewonnen hat. Hier kann er gelegentlich
sogar einmal ausgelassen sein wie in Marburger Tagen. So brachte er durch
seinen eigenen Gesang bei einer Silvesterfeier "die schon sehr
anarchische Gesellschaft wieder in eine feste Position". Es ertönten
der "fröhliche Hans" und "alle tollen Lieder, die... das Studentenleben...
zurückgelassen hat!"
Auch in seinem gesellschaftlichen Umgang hat er sich seiner Stellung
als Staatsdiener angepaßt. Er pflegt nicht nur den Verkehr mit Bürgermeister
und Amtmann, sondern hat auch ein fast freundschaftliches Verhältnis
zu dem Kammerherrn von Buttlar auf Elberberg bei Naumburg und notiert ohne
jede negative Reflexion die Begegnungen, die er in Elberberg mit den streng
konservativen Ministern Vilmar und Hassenpflug (beim Hessenvolk "Hessenfluch"
genannt) hat. Nicht einmal ein flottes Tänzchen mit einer Tochter
Hassenpflugs gelegentlich einer öffentlichen Tanzveranstaltung steht
einer unveränderten politischen Gesinnung entgegen! Und bei den Geburtstagen
des Landesfürsten zählt er selbstverständlich zu den 20
Honoratioren, die den festlichen Tag mit einem Bankett und einem "munteren
Bällchen" abschließen.
Daß über dem allen sein Herz unruhig geblieben ist, wird
erst wieder in einer Auseinandersetzung erkennbar, die er mit seiner Kirche
wegen der evangelischen Erziehung seiner Kinder durch seine Ehefrau führen
muß. So heftig er sich zeitweise auch mit dem katholischen Ortspfarrer
auseinandersetzt, so deutlich wird sein Schmerz über die von der Kirche
schließlich ausgesprochene Exkommunikation. Er hat daran bis zu seinem
Tode um so schwerer getragen, als er sich von seinem Fuldaer Elternhaus
her immer als treuer Sohn seiner Kirche empfunden hatte. Dabe hat er selbst
wie viele überzeugte Christen beider Konfessionen aus jener Zeit nicht
bemerkt, in welchem Abstande infolge der Einflüsse der Aufklärung
seine Anthropologie im Gegensatz zu dem christlichen Menschenbilde stand.
Wir lesen heute seine idealistische Hoffnung auf allmähliche Besserung
des Menschengeschlechtes mit den gemischten Gefühlen der Nachgeborenen,
die Grauen und Chaos zweier Weltkriege hinter sich haben.
Wir können nicht nur schmunzeln, wenn er schreibt: "Ich bin nicht
schlecht, nur daß ich mit meinen sozialen Verhältnissen kollidiere,
bringt meine Handlungen in Disharmonie." Man meint hier und in anderen
Stellen Karl Marx oder Engels zu hören und erlebt - ohne daß
Höfling von diesen wahrscheinlich Kenntnis genommen hat - einfach
den Bazillus jener Tage, den Zeitgeist, der ihn im gleichen Fortschrittsoptimismus
auch sagen lassen kann: "Es gibt Kräfte in uns, jede Leidenschaft
zu beherrschen, jede Untugend zu unterdrücken."
Und so weiß er etwa auch vom Militärdegen - um ein Beispiel
zu geben - zu sagen, daß im Zuge der "allgemeinen Zivilisierung"
der Seitendegen der Offiziere bald verschwinden werde oder allenfalls ein
Stückchen "Galanterie" bliebe, da die "rohe Gewalt immer mehr verdrängt
werde".
Doch diese, unser Sünderdasein stark in Zweifel ziehende Fortschrittsgläubigkeit,
die noch heute herrschend ist, ist bei Höfling gepaart mit einer pietistischen
Zuversicht, daß Gott alles wohl regeln wird. Er liest seinen Jung-Stilling
und schreibt: "Auch ich habe vielfache Ursache, an die Einwirkung der Vorsehung
auf mein spezielles Schicksal zu glauben. Ich will endlich das Meinige
tun. Das Übrige wird der Vater im Himmel besorgen." Wir sind danach
nicht verwundert, aus späteren Aufzeichnungen seiner Tochter zu hören,
daß er bis in das hohe Alter gelegentlich Hausandachten in seiner
Familie gehalten hat.
Am 9. September 1857 wird Höfling "durch allerhöchsten Beschluß"
zum Amtsphysikus in dem im Vergleich zu Naumburg sehr viel bedeutenderen
Physikat Eschwege II ernannt und tritt aus der von ihm so oft beklagten
Enge der hessischen Kleinstadt in ein Wirkungsfeld, das ihn noch einmal
zu vielfältigen Aktivitäten ermuntern wird.
1860 übernimmt er zusätzlich die Leitung des Eschweger Krankenhauses
und betreut neben dem Physikat eine umfängliche Armenpraxis. Und alsbald
nach den großen politischen Veränderungen des Jahres 1866 bewirbt
er sich "im Vertrauen auf die im Königreiche Preußen herrschende
Rechtsordnung" um die Stelle des Eschweger Kreisphysikus. Der von ihm einst
gern bespöttelte Staat, der allerdings wohl schon seinen ungeteilten
Beifall bei der Auflösung des ungeliebten Kurfürstentums gefunden
hat, enttäuschte ihn nicht. 1869 erhält er das erbetene Amt,
und wenige Jahre danach auch den "Charakter" eines königlichen Sanitätsrates.
In die "neue Zeit" fällt auch eine erneute Bemühung der Universität
Marburg, ihn mit einem Lehrstuhl zu betrauen. Höfling winkt aber um
seines Alters willen ab. Es soll für ihn eine wehmütige Stunde
gewesen sein.
Einen gewissen Ausgleich erhält sein nun reich gefülltes berufliches
Leben aber in zahlreichen Aktivitäten, zu denen seine gereifte Persönlichkeit
gerufen wird. Sein Fundament wird - wen verwundert es nach dem geschilderten
Lebensweg - die nationalliberale Partei, in der er bald Führungsaufgaben
hat, und deren herausragender Mandatsträger er in den städtischen
Körperschaften wird. Bald ist er auch Vorsitzender des Meißnerschen
ärztlichen Vereins der Stadt und leitet die örtliche Gruppe des
Hessischen Geschichtsvereins.
Die reichste Ernte aber wird sein Leben, das ihn so lange verzichten
lehrte, in einem Geschehen finden, dessen Entfaltung er nicht einmal erahnen
konnte. Die von seiner Tochter geschilderte innige Wärme seines häuslichen
Lebens wurde zu einem Anziehungspunkt für einen kleinen, mit seinem
jüngsten Sohn Richard befreundeten Buben aus einer Eschweger Handwerkerfamilie.
Es war Otto Heinemann, der Vater unseres ehemaligen Bundespräsidenten,
der durch "Onkel Höfling" Anregungen für seinen eigenen Lebensweg
erhielt. Nur Gott weiß, in welchem Maße Höfling hier Gärtnerdienste
für unser Volk gehabt hat. In jedem Falle ist es wohltuend, auch hier
Gottes lenkende Hand zu spüren.
Als Dr. Eugen Höfling am 21. Juli 1880 nach kurzer Erkrankung heimgerufen
wurde, folgte seinem Sarg ausweislich der Presseberichte der Zeit eine
große Trauergemeinde, zu der auch der katholische Dechant "im vollen
Ornat" zählte, obwohl die seinerzeit ausgesprochene Exkommunikation
immer noch wirksam war. Die Fuldaer Wochenschrift "Buchonia" vom 24. Juli
1880 hob den geschickten, gewissenhaften und humanen Arzt hervor, zu dem
die Patienten ein außerordentliches Zutrauen hatten. Das Kasseler
Tagesblatt und die Mitteilungen des Vereins für hessische Geschichte
und Landeskunde unterstreichen seinen edlen Charakter. Er sein ein Mann
gewesen, der keine Feinde, wohl aber viele Freunde besessen habe. Zwei
Jahre später folgte in Eschwege anläßlich der Einweihung
der dortigen Erinnerungstafel eine große, von einer Reihe Korporationen
und der Stadt Eschwege veranstalteten "Höflings-Feier". Ob das Fest,
zu dem außer einem Kommers in der "Goldenen Crone" unter anderem
auch ein Fackelzug und ein Feuerwerk gehörten, ganz im Sinne des Gefeierten
gewesen ist, der vor seinem Tode längst ein stiller und bescheidener
Mann geworden war, ist schwer zu sagen. Vielleicht fühlten sich die
Veranstalter ein wenig durch sein letztes, 1879 der Wiener Burschenschaft
gewidmetes Lied bestätigt und ermuntert, in dem es heißt:
"Im Alter noch wirkt dann der Geist der Jugend,
der Jügling lebt im reifen Manne fort,
für Wahrheit, Recht und jede Mannestugend
erstreben wir der Menschheit ewigen Hort..."
Dr. Richard Pawelitzki, ein Urenkel Höflings, was seine Objektivität jedoch nicht in Frage stellt, hat den kurz nach Eugen Höflings Tod entbrannten, langjährigen Streit um dessen Urheberschaft des Studentenliedes "O alte Burschenherrlichkeit", der letztlich zu seinen Gunsten entschieden wurde, in den 1970er und 80er Jahren kritisch zusammengefaßt (Anm. d. Red.).